LZPD Podcast-E Anlage 12 Sucht

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LZPD Podcast-E Anlage 12 Sucht

Anlage 12: Sucht 

Die Anlage 12 vertieft die Handlungsempfehlung zum Umgang mit Sucht am Arbeitsplatz, gibt Hinweise auf Anzeichen und Interventionsmöglichkeiten sowie zum Umgang mit Rückfällen. 

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  1. Einleitung und Begriffsbestimmung 

Der Konsum von Suchtmitteln ist Teil unserer Gesellschaft. Die meisten Menschen konsumieren Suchtmittel, wie beispielsweise ein Glas Wein zur Entspannung oder eine Tasse Kaffee zur Aktivierung, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Eine Abhängigkeit kann sich jedoch unter bestimmten Voraussetzungen aus dem bloßen Konsum heraus entwickeln. Sucht ist kein Randproblem in der Gesellschaft, es betrifft viele Menschen in Deutschland und ist häufig mit schwerwiegenden persönlichen Schicksalen verbunden. Neben den Betroffenen wirken sich die Folgen auch auf Familienangehörige, Freundinnen und Freunde sowie Kolleginnen und Kollegen aus. Der Begriff Sucht umfasst die Gesamtheit von riskanten, missbräuchlichen und abhängigen Verhaltensweisen in Bezug auf legale und illegale Suchtmittel sowie nichtstoffgebundene Verhaltensweisen. Bei einer Verhaltenssucht besteht eine Abhängigkeit von bestimmten Tätigkeiten, welche die betroffenen Menschen nicht mehr willentlich kontrollieren können wie beispielsweise Glücksspiel, pathologischer Internetgebrauch oder Essstörungen. Bei einer Sucht handelt es sich um eine Krankheit, wobei die Begriffe Abhängigkeitserkrankung und Sucht synonym gebraucht werden. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) als weltweit anerkanntes Diagnoseklassifikationssystem der Medizin führt insgesamt sechs Anzeichen auf, die auf eine Sucht hindeuten können. Dabei verlaufen die Übergänge zwischen Sucht und Genuss fließend. Bei den Anzeichen handelt es sich um starkes Verlangen oder Zwang, Kontrollverlust, Abstinenzunfähigkeit, Toleranzbildung (für den gewünschten Effekt wird eine höhere Menge des Suchtmittels benötigt), Entzugserscheinungen und Rückzug aus dem Sozialleben. Jedes einzelne Anzeichen ist ein deutlicher Warnhinweis und bei einem Auftreten von drei Suchtsymptomen kann in der Regel von einer Suchterkrankung ausgegangen werden. Die Warnhinweise sind unabhängig davon zu bewerten, ob das Suchtmittel eine Substanz oder ein bestimmtes Verhalten ist. Die legalen Suchtmittel Alkohol, Tabak und Medikamente sind anhand von repräsentativen Studien, wie des Epidemiologischen Suchtsurvey 2018, zahlenmäßig von größerer Bedeutsamkeit. Demnach sind in Deutschland Schätzungen zufolge ca. 12 Millionen Menschen abhängig von Nikotin, 1,6 Millionen sind alkoholabhängig und 2,3 Millionen Menschen sind abhängig von Medikamenten. Jeweils ca. eine halbe Million Menschen zeigen problematisches oder pathologisches Glücksspielverhalten oder sind im Zuge exzessiver Internetnutzung onlineabhängig. Die Auswirkungen riskanten Konsums von Suchtmitteln begleiten Betroffene in allen Lebensbereichen, sodass auch das Verhalten am Arbeitsplatz und die Arbeitsleistung tangiert werden. Hier kommt es beispielsweise zu nicht nur vorübergehenden, erkennbaren Einbußen in der Leistungsfähigkeit, erhöhten Fehlzeiten oder auch Auffälligkeiten im Verhalten der Betroffenen. Eine besondere Verantwortung obliegt hier den Führungskräften und Mitarbeitenden, wenn sie im Arbeitsalltag wiederholt Anzeichen einer Sucht feststellen sowie der Personalverwaltung und der Personalvertretung, die sich in ihrer Tätigkeit mit Gefährdeten oder Suchtkranken beschäftigen. Jegliches Handeln gegen den Suchtmittelmissbrauch stellt eine besondere Form der Fürsorge dar, auf die Mitarbeitende angewiesen sind und auch einen Anspruch haben. Dabei geht das Recht auf Fürsorge der Beschäftigten mit der Pflicht von Vorgesetzten, Dienstvorgesetzten und der obersten Dienstbehörde einher. Ein stufenweises, abgestimmtes, konsequentes Führungshandeln ist hier zielführend. Je früher eine Suchtproblematik erkannt und offen angesprochen wird, desto größer sind die Chancen, dass Betroffenen geholfen werden kann. Die klar erkennbare Kontur des Führungshandelns und der Vereinbarungen ist wesentlicher Erfolgsgarant zur Suchtprävention. Die Suchtprävention und Suchthilfe sind in der Polizei NRW ein wichtiger Bestandteil des behördlichen Gesundheitsmanagements (BGMPol NRW) und ein Beitrag zur gesundheitsorientierten Führung. Die vorliegende Handlungsempfehlung und das beschriebene Interventionsmodell finden entsprechende Anwendung auf alle Formen von Sucht- bzw. Abhängigkeitserkrankungen. Aufgrund der beschriebenen Prävalenzen beziehen sie sich primär auf problematische Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Alkohol und Medikamenten. Die aufgezeigten Maßnahmen haben in erster Linie präventiven Charakter. Eine Ausgrenzung gefährdeter oder bereits erkrankter Personen soll zielgerichtet verhindert werden. Bestandteil des Interventionsprogramms sind neben flankierenden Maßnahmen auch die Mittel des Disziplinar- bzw. Tarifrechts. Das angestrebte Ziel liegt in der den Dienstpflichten entsprechenden Anpassung des Verhaltens der Betroffenen. Diese Handlungsempfehlungen sollen bei der Erreichung folgender Ziele Unterstützung bieten: 

· Gesundheits- und Unfallgefahren infolge von Sucht sind wirksam verhindert. 

· Die Arbeits- bzw. Dienstfähigkeit ist wiedererlangt. 

· Suchtgefährdete und suchterkrankte Beschäftigte sind frühzeitig wirksam unterstützt. 

· Ein einheitliches Handlungskonzept stellt die Gleichbehandlung aller Betroffenen sicher. 

· Begünstigende Haltungen und Einstellungen hinsichtlich des verantwortungsvollen Umgangs mit Suchtmitteln, sowohl bei Einzelnen als auch in der Gruppe, sind etabliert. 

· Durch Aufklärung hinsichtlich Erkrankungen im Bereich Sucht ist die Diskriminierung und Stigmatisierung Betroffener verhindert. 

· Eine Verhaltenssicherheit bei Betroffenen, Mitarbeitenden und Vorgesetzten ist hergestellt. 

· Die Einbeziehung der im Netzwerk behördlicher Suchtprävention Verantwortlichen ist sichergestellt. 

· Die Begleitung von Betroffenen bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz ist gewährleistet. 

· Die beratenden und unterstützenden Anlaufstellen sind bekannt (Zentrale Beratungsangebote des LAFP NRW, Polizeiärztlicher Dienst (PäD), Soziale Ansprechpartner (SAP), Führungskräfte, kollegiale Unterstützung, Personal- und Schwerbehindertenvertretungen, Suchtberatungsstellen). 

2. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Sucht am Arbeitsplatz 

2.1 Reflexion von Führungsverhalten 

Für eine sinnvolle Intervention in Einzelfällen ist eine eindeutige und in sich stimmige Gestaltung von Führungsverhalten in Bezug auf den Umgang mit Suchtgefährdeten oder Suchterkrankten eine wichtige Voraussetzung. Führungskräfte sind aktiver Teil des Umfeldes der Betroffenen. Es bestehen vielfältige Wechselwirkungen zwischen den Bedingungen des Suchtmittelkonsums und den Bedingungen der Arbeit sowie des Umfelds. Für ein verantwortungsvolles Agieren in Führungssituationen mit Suchtbezug ist die Reflexion eigener Einstellungen und Führungsverhaltensweisen im Zusammenhang mit Suchtmitteln eine wichtige Voraussetzung. Die zwingend notwendige Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit ist durch die Auseinandersetzung mit eigenem Konsumverhalten von Suchtmitteln und der Reflexion von Normen, Werten und Gewohnheiten im Arbeitsumfeld erreichbar. Auch das Führungsverhalten trägt wesentlich zu den eher informellen Verhaltensregeln und -weisen unter den Mitarbeitenden bei und kann ein Ansatz für Veränderung sein. 

2.2 Voraussetzungen für ein „Problemgespräch Sucht“ 

Wenn Führungskräfte Beeinträchtigungen von Mitarbeitenden im Bereich der Arbeit feststellen, die einen möglichen Zusammenhang mit einer Suchtproblematik darstellen, sind sie zum schnellstmöglichen Handeln verpflichtet. Ihnen obliegt die Kontrolle der Aufgabenerfüllung und des Verhaltens während der Dienstzeit. Entscheidend ist jedoch nicht die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs von Beeinträchtigung und Sucht, da eine Diagnostik nur von Fachpersonal vorgenommen werden kann. Vielmehr kommt es an dieser Stelle auf die sensible und genaue Wahrnehmung sowie die Beschreibung zeitlicher Zusammenhänge von Verhaltens- und Aufgabendefiziten und der Möglichkeit des Suchtmittelkonsums an. Bei der beschriebenen Wahrnehmung von Leistungseinbußen und Verhaltensauffälligkeiten Beschäftigter bietet der Leitfaden des Innenministeriums des Landes NRW „Problemgespräch Sucht“ eine Handlungsempfehlung für ein Fürsorgegespräch, das Führungskräfte in diesen Fällen führen müssen. Der Zeitpunkt für ein „Problemgespräch Sucht“ kann nicht zu früh und sollte niederschwellig gewählt werden. Bei einem frühen Einschreiten erhöhen sich die Chancen der Gesundung erheblich. Zu den Charakteristika von Suchtproblemen gehört, dass Betroffene schon in einem frühen Stadium tatsächlich nicht mehr in der Lage sind, die Zusammenhänge zwischen dem Suchtmittelkonsum und Suchtverhalten sowie dessen negativen Folgen von sich aus zu erkennen. Sie sind auf die ergänzenden Wahrnehmungen anderer angewiesen. Insofern liegt eine große Verantwortung bei allen Bezugspersonen, wobei Führungskräfte in ihrem Selbst- und Werteverständnis eine besondere Funktion einnehmen. Die Sorge von Führungskräften, mit einem „Problemgespräch Sucht“ falsche Adressaten zu treffen, ist eine natürliche Reaktion. So ergeht es auch den meisten anderen Bezugspersonen. Das Bestreben, die Betroffenen vor negativen Auswirkungen zu bewahren, steht im Vordergrund. Wenn Führungskräfte in diesem Zusammenhang Fehler ausgleichen, für Entlastung sorgen, Entschuldigungen und Besserungsversprechen akzeptieren, spricht man von Co-Abhängigkeit. Eine Co-Abhängigkeit durch Führungsverhalten ist vermeidbar, wenn Führungskräfte ein gutes Gleichgewicht zwischen einer hilfreichen Unterstützung des Suchtkranken, eigenen Bedürfnissen und Führungsaufgaben sowie Organisationszielen finden. 

2.3 Anzeichen für Sucht richtig wahrnehmen 

Die Frage, welche Verhaltensweisen und Anzeichen auf eine Suchtproblematik hindeuten, ist nicht mit einer abschließenden Liste zu beantworten. Viele der bekannten Auffälligkeiten treten auch ohne Suchtprobleme auf und können in einem gänzlich anderen Zusammenhang stehen. Als Bezugspunkte der Wahrnehmung und Bewertung sollten dabei nach Möglichkeit konkrete Verdachtsmomente oder Feststellungen genutzt werden. Vermutungen und Gerüchte können in die Beurteilung einfließen, bedürfen aber einer Überprüfung ihrer Belastbarkeit. Folgende Auffälligkeiten könnten demzufolge beispielhaft auch niederschwellig von Bedeutung sein: 

· Ein- und Durchschlafstörungen, Appetitstörung, Gewichtszunahme und -verlust, ausgeprägte Veränderungen im Arbeitsverhalten, z.B. Leistungsschwankungen, Arbeitsrückstände, Unzuverlässigkeit, Fehlzeiten. 

· Veränderungen der Person: z.B. Stimmungsschwankungen, verringerte Belastbarkeit, Ängstlichkeit, Überempfindlichkeit, innere Unruhe, Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit, Aggressivität, Konzentrationsstörungen, Nachlassen von Gedächtnis und Auffassungsgabe, unerklärliche Erinnerungslücken, beginnende Interessenlosigkeit, Neigung zu Rückzug und Isolation, Entscheidungsschwierigkeiten, Verheimlichungs- und Täuschungsneigung. 

· Direkte körperliche Auswirkungen, wie z.B. Alkoholgeruch, auffälliges Händezittern, Schweißneigung, Hautveränderungen im Gesicht/am Körper, Kreislaufstörungen. 

· Häufung von Problemen zwischenmenschlicher, familiärer, rechtlicher und oder finanzieller Art. 

3. Intervention 

Die Intervention setzt mit einem ersten Fürsorgegespräch („Problemgespräch-Sucht“) ein und setzt sich mit eventuell folgenden Gesprächen in einem Stufenplan fort. Es ist sehr zu empfehlen, Wahrnehmungen von Mängeln im Arbeitsverhalten, von Veränderungen in der Persönlichkeit und von Auswirkungen möglichen Suchtmittelkonsums schriftlich so konkret wie möglich zu einer Übersicht zusammenzustellen. Ergänzend kann es sinnvoll sein, ohnehin vorhandene Arbeitsdokumentationen der Betroffenen bereitzustellen. Das erste Gespräch ist in jedem Falle unter vier Augen zu führen. Dafür ist ein gesonderter Termin vorzusehen und rechtzeitig anzukündigen. Für eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage empfiehlt es sich nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei geteilter Führungsverantwortung, weitere Personen in die Vorbereitung des Fürsorgegesprächs mit einzubeziehen. Stellt sich heraus, dass der Betroffene bei dem angesetzten Termin akut durch den Einfluss von Suchtmitteln beeinträchtigt ist, sollte das Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden. Die Bedingungen für ein gelingendes Gespräch sind daher im Vorhinein klar zu kommunizieren. Die Gesprächsteilnahme ist für die betroffenen Personen unabweisbar. 

3.1 Vorbereitung und Durchführung des „Problemgespräches Sucht“ 

Im Gespräch sollen die Hilfsbereitschaft und das Interesse am Wohlergehen der Betroffenen im Vordergrund stehen. Gleichzeitig sollte den Betroffenen jedoch der selbstverantwortliche Gestaltungsspielraum und die eigene Verantwortung deutlich aufgezeigt werden. Eine durchgängige und nachhaltige Schaffung von Verbindlichkeit hat auf dem konstruktiven Lösungsweg wesentliche Bedeutung. Darüber hinaus sollten Vorgesetzte in der Lage sein, mögliche anfängliche Spannungen durch ein ruhiges und sachliches Gesprächsverhalten abzubauen. Ein kooperatives Gespräch mit konstruktiven Lösungen wird dadurch begünstigt. Die Führungskraft sollte zur Gestaltung eines günstigen Gesprächsablaufs 

· eine möglichst vertrauensvolle Gesprächsbasis schaffen, 

· dienstliche Belange in den Vordergrund stellen, 

· Bereitschaft ausdrücken, die betroffene Person anzuhören und ernst zu nehmen, 

· nachvollziehbar verdeutlichen, welche konkreten Wahrnehmungen Sorge bereiten, 

· zeitliche Zusammenhänge zwischen möglichem Suchtmittelkonsum und den beobachteten Beeinträchtigungen darlegen, 

· sich zu einer gemeinsamen und kooperativen Problemlösung bereit erklären, 

· Hilfsbereitschaft betonen und darlegen, welche Hilfestellungen denkbar sind, 

· auf Hilfsangebote wie SAP, Zentralstelle Psychosoziale Unterstützung (LAFP NRW), Seelsorge, PäD oder Suchtberatungsstellen hinweisen, 

· einzelne konkrete Veränderungen fordern und vereinbaren, 

· ein weiteres Gespräch zur Kontrolle der vereinbarten Maßnahmen ankündigen, 

· darauf hinweisen, dass es der betroffenen Person freisteht, eine Vertretung des örtlichen Personalrates, eine Person des Vertrauens, SAP bzw. Personen der verschiedenen Vertretungen hinzuziehen, 

· konkrete Konsequenzen bei Nichteinhaltung der getroffenen Vereinbarungen (Stufenplan, disziplinar- bzw. arbeitsrechtliche Schritte) benennen, 

· Möglichkeit der Fertigung eines Gesprächsvermerks nutzen, um die Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen zu untermauern, 

· im Hinblick auf Transparenz, Verbindlichkeit und mögliche Folgephasen frühzeitige Pflichtenmahnung aussprechen und dokumentieren. Neben der aktiven Gesprächsgestaltung ist Folgendes möglichst zu beachten: 

· Feststellungen anführen statt Gerüchte vorzubringen, 

· Zusammenhänge zwischen den beobachteten Beeinträchtigungen und möglichem Suchtmittelkonsum hervorzuheben anstatt Suchtdiagnosen zu treffen, 

· keine Mutmaßungen oder Diskussion über Gründe des Suchtmittelkonsums, 

· gemeinsame Analyse der beobachteten Auswirkungen statt Mengendiskussionen, 

· Entscheidungsspielraum gewähren bei der Erarbeitung von Lösungsschritten, 

· die notwendige Distanz wahren und nicht durch allzu große Vertraulichkeit gefährden, 

· sich nicht durch Versprechungen beschwichtigen lassen, 

· geduldig und konsequent sein statt mit unangemessenen Sanktionen zu drohen. 

Es ist wichtig, ein Bewusstsein für die Möglichkeiten verschiedenster Reaktionen von Betroffenen im Gespräch zu entwickeln. Diese können sich in einer Bagatellisierung von Verhaltensweisen, Schuldzuschreibungen, uneingeschränkter vorschneller Zustimmung oder Zurückweisung der dargestellten Wahrnehmungen äußern. Mit diesem Bewusstsein wird die Fähigkeit gestärkt, zugewandt und professionell reagieren können. Zum Abschluss des Fürsorgegesprächs werden klare Vorgaben zu erforderlichen Veränderungen gegenüber dem Betroffenen kommuniziert. Die wichtige konsequente weitere Beteiligung des Betroffenen zeigt sich in konkreten Verabredungen zu einem Termin für ein Folgegespräch (spätestens nach sechs Wochen) sowie zu den Forderungen nach Veränderungen im Umgang mit Suchtmitteln und im Bereich der Arbeit. Die Erteilung konkreter Auflagen, die künftig einzuhalten sind, und das Aufzeigen des Eintritts von Konsequenzen im Falle einer Nicht-Einhaltung des Vereinbarten sollen zielgerichtet die Klarheit über zukünftig erwartetes Verhalten erhöhen. Es ist eine Dokumentation des Gesprächsverlaufs im Hinblick auf die erteilten Auflagen und Vereinbarungen mit Zeichnung und Kenntnisnahme vorzunehmen. Nach dem Erstgespräch haben Vorgesetzte die Aufgabe, die Umsetzung der Gesprächsergebnisse genau zu kontrollieren und für weitere Hilfe zur Verfügung zu stehen. Auch im Falle ausreichender positiver Veränderungen des Verhaltens der betroffenen Person ist es wichtig, diese zu erfassen, um sie im vereinbarten Folgegespräch bestätigen zu können. Auf dieses zweite Gespräch sollte unter keinen Umständen verzichtet werden. Bei Bedarf ist die Hinzuziehung einer Vertrauensperson zu ermöglichen. Kommt es im Vorfeld des Termins zu akuten Problemen, ist das Folgegespräch vorzuziehen. Verbessert sich die Situation nur unzureichend oder verschlechtert sie sich sogar, wird der Stufenplan des Interventionsprogramms eingeleitet. 

3.2 Stufenplan 

Oft reichen die Gespräche der Vorgesetzten mit den Betroffenen nicht aus, um Einsicht und Verhaltensänderungen zu bewirken. Dann sind weitere abgestufte Schritte und Maßnahmen erforderlich. Grundlage ist ein Stufenkonzept, bei dem in der Regel jeweils nach sechs bis acht Wochen von einer Stufe zur nächsten übergegangen wird. Im Verlauf dieses Prozesses erweitert sich auch der Kreis der beteiligten Personen. Da die Handlungsspielräume der Betroffenen dabei immer enger werden und das Vorgehen letztlich in das Einleiten einer Therapie münden soll, wird dafür auch der Begriff „Therapietrichter“ verwendet. Sollte sich eine Sucht konkretisieren und ggf. eine verminderte Einsichts- und Schuldfähigkeit aufgrund der Suchterkrankung festgestellt werden, bleibt die Pflicht zur Folgeleistung und Gesunderhaltung bei der betroffenen Person bestehen. Es bleibt zu beachten, dass sich bei arbeitsplatzbezogenen Schwierigkeiten, die aufgrund einer Suchterkrankung bei schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen auftreten, aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) IX grundsätzlich eine Beteiligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung (SBV) ergibt. Spätestens jedoch in der 3. Stufe hat die SBV Anspruch auf entsprechende Information. 

· Gem. § 178 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 SGB IX hat die Führungskraft bei schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Menschen die Beteiligung der SBV aufgrund der Unterrichtungspflicht sicherzustellen und sie von den personenbedingten Schwierigkeiten in Kenntnis zu setzen. Die Unterrichtungspflicht bleibt unabhängig davon bestehen, ob der/die Betroffene eine Teilnahme der SBV an dem Verfahren wünscht oder nicht. 

· Gem. § 167 Abs. 1 SGB IX ist die Beteiligung der SBV durch den Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, zwingend vorgesehen. 

3.2.1 Stufe 1 

An diesem Gespräch nehmen die betroffene Person sowie die Führungskraft und bei Bedarf die Vertretung des örtlichen Personalrates, eine Person des Vertrauens, SAP und/oder Personen der verschiedenen Vertretungen teil. Dieses Gespräch bleibt noch ohne dienstrechtliche Folgen, es erfolgt jedoch deren Ankündigung für den Fall der Nichteinhaltung von Vereinbarungen und Auflagen. In diesem Gespräch wird 

· auf das zurückliegende Gespräch hingewiesen und das erneute Fehlverhalten bzw. das Fortbestehen des Leistungsmangels angesprochen, 

· gemeinsam auf die Auswirkungen weiterer Auffälligkeiten am Arbeitsplatz hingewiesen, insbesondere auf den möglichen eingeschränkten Arbeitseinsatz, 

· erneut aufgezeigt, welche konkreten dienstrechtlichen Konsequenzen folgen, 

· mit Betroffenen nach realistischen Lösungsmöglichkeiten gesucht, 

· Betroffenen dringend nahegelegt, die bestehenden Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen, 

· mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass - falls erneut keine positive Veränderung festgestellt werden kann - ein weiteres Gespräch unter Hinzuziehung der nächsthöheren Vorgesetzen stattfinden wird (Betroffene werden darauf hingewiesen, dass ebenfalls Vertreter des Personalrates teilnehmen, sofern dies nicht ausdrücklich abgelehnt wird), 

· gezielt auf die Möglichkeit der Einbeziehung sozialer Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sowie anderer Vertrauenspersonen hingewiesen, 

· eine Vereinbarung bezüglich eines weiteren Gesprächs nach vier bis sechs Wochen getroffen. 

Über dieses Gespräch ist ein formaler Vermerk über Situation, Fehlverhalten, Vereinbarungen hinsichtlich der Hilfsangebote, mögliche Konsequenzen sowie den nächsten Gesprächstermin mit Zeichnung und Kenntnisnahme anzulegen. Bei Ausbleiben einer positiven Veränderung wird die nächste Stufe eingeleitet. 

3.2.2 Stufe 2 

Am nächsten Gespräch nimmt der in Stufe 1 benannte Personenkreis teil. In dieser Konstellation wird erneut auf die bereits im Fürsorgegespräch benannten beamten- und arbeitsrechtlichen Pflichten hingewiesen. Zudem werden die Konsequenzen eines fortdauernden Fehlverhaltens noch einmal aufgezeigt. Bei diesem Gespräch sind folgende Inhalte gegenüber dem oder der Betroffenen relevant: 

· Hinweis auf die zurückliegenden Gespräche, das Fortbestehen der Leistungsmängel und des Fehlverhaltens (Fakten benennen). 

· Hinweis auf die nicht eingehaltenen Vereinbarungen. 

· Erneuter Verweis auf zu nutzende interne und externe Hilfsangebote. 

· Einräumen einer letzten Frist, zu der das Fehlverhalten einzustellen und/oder nachzuweisen ist, dass geeignete Hilfsangebote in Anspruch genommen werden; Aufsuchen einer Beratungsstelle als Auflage. 

· Mitteilung darüber, dass der über dieses Gespräch gefertigte Vermerk der für die Personalverwaltung zuständigen Abteilung zugeleitet und zur Personalakte genommen wird. 

· Zusicherung darüber, dass weitere Gespräche zur Stabilisierung und Unterstützung erfolgen können. 

· Einzelfallprüfung hinsichtlich besonderer Auflagen bzw. Konsequenzen, wie z. B. ärztliches Attest ab dem ersten Krankheitstag (auch bei Kurzerkrankungen) oder die Vorstellung beim PäD. · Ankündigung dienstrechtlicher Konsequenzen bei Nichterfüllung der Auflagen. 

Die zweite und dritte Stufe müssen schriftlich dokumentiert werden. 

3.2.3 Stufe 3 

In dieser Stufe setzen dienstrechtliche Konsequenzen ein. Entsprechend wird der Kreis der an den Gesprächen Beteiligten erneut erweitert. Nun ist die Personalverwaltung direkt beteiligt. Falls notwendig, wird der betroffenen Person z.B. die unverzügliche Einleitung einer Entgiftung/Entwöhnung mit nachfolgender stationärer Behandlung zur Auflage gemacht. Verweigern Betroffene dies, wird die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. bei Beamtinnen und Beamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Flankierend können insbesondere in der Stufe 3 Maßnahmen der Personalsteuerung wie beispielsweise Umsetzung, Versetzung oder eine Zwangsbeurlaubung (§ 39 BeamtStG, Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, auch mit Annexmaßnahmen "Betretungs-/Uniformtrageverbot" für maximal drei Monate) aus Fürsorgegründen ausgesprochen werden. Individuelle Regelungen der Behörden hinsichtlich der drei Stufen sind zu berücksichtigen. In diesen sind die genauen behördenspezifischen Abläufe und Verfahrensweisen festgelegt. Widersprüchliche Anforderungen sind aufzulösen. In Zweifelsfällen gilt die vorliegende Handlungsempfehlung. 

  1. Wiedereingliederung am Arbeitsplatz 

Der Kontakt zur Dienststelle während der therapeutischen Maßnahmen und die Gewissheit, dass mit der Rückkehr von Betroffenen an den Arbeitsplatz gerechnet wird, stärkt den Genesungswillen und erhöht die Chancen einer erfolgreichen Therapie. In jedem Fall ist es Aufgabe von Vorgesetzten, die Rückkehr an den Arbeitsplatz und die Reintegration vorzubereiten und zu begleiten. Grundsätzlich sollten alle Maßnahmen in Rücksprache mit den Betroffenen getroffen werden. Betroffene Beschäftigte sind nach der Therapie wieder als voll für sich selbst verantwortlich und als vollwertige Arbeitskraft zu betrachten und zu behandeln. In einem Arbeitsaufnahmegespräch, auch in Beisein von Vertrauensleuten, können Arbeitsplatzbedingungen überprüft und die grundsätzliche Frage nach der Rückkehr an den alten Arbeitsplatz erörtert werden. Dabei sollte man sich an sachlichen Kriterien orientieren und einen Wechsel beispielsweise bei einer erhöhten Rückfallgefahr in Betracht ziehen. Darüber hinaus ist es hilfreich, auch das Arbeitsumfeld auf die Rückkehr von Betroffenen in Absprache mit diesen vorzubereiten, um Unsicherheiten abzubauen und zu kollegialem Verhalten zu motivieren. Auch hilfreiche Fachinformationen zum Thema Sucht sind in diesem Zusammenhang denkbar. Die Strukturen des behördlichen Wiedereingliederungsmanagements sind frühzeitig zu nutzen. 

5. Umgang mit Rückfällen 

Auch nach einer erfolgreichen akuten Behandlung ist die dauerhafte Suchtmittelfreiheit ein langer Weg, der nur mithilfe von Nachsorge im therapeutischen Umfeld sowie mit Unterstützung des privaten und beruflichen Umfeldes erreichbar ist. Oberstes Therapieziel für alle Suchtmittelabhängigen ist die völlige und dauerhafte Abstinenz. Dieses Ziel ist schwer zu erreichen. Oft gibt erst die Erfahrung des Rückfalls den Betroffenen den Anstoß für die endgültige Entscheidung zur dauerhaften Abstinenz. Den Bedingungen von Suchtkrankheiten nicht gerecht wird daher die in der behördlichen Praxis noch weit verbreitete und teilweise auch durch die Rechtsprechung abgedeckte Wertung des Rückfalls als schwere Verfehlung Betroffener, die schwerste rechtliche Konsequenzen wegen eines unterbrochenen Genesungsverlaufs rechtfertigt. Aus fachlicher Sicht hingegen ist der Rückfall, sofern professionell aufgearbeitet, ein wichtiger Teil des Genesungsprozesses. Festzuhalten bleibt, dass bei Rückfällen oder Therapieabbrüchen parallel immer die disziplinarrechtliche Relevanz zu prüfen ist. Weiterhin maßgeblich ist, dass ein angemessener, konstruktiver und konsequenter Umgang gefunden wird. Für Vorgesetze bedeutet das, aufmerksam zu sein und bei ersten Anzeichen von Sucht-, Anwesenheits- oder Leistungsproblemen ein Vier-Augen-Gespräch, bei Bedarf unter Hinzuziehung einer Vertrauensperson, zur Abklärung zu führen. Im Falle eines Rückfalls ist gemeinsam mit der Personalverwaltung und der Personalvertretung das weitere Vorgehen zu planen. 

6. Fazit 

Die Leistungsfähigkeit der Polizei geht Hand in Hand mit der Fürsorgepflicht von Vorgesetzten gegenüber ihren Beschäftigten. Alle Beschäftigten der Polizei haben einen Anspruch darauf, Leistungsfähigkeit im Einklang mit Gesundheit und Wohlbefinden zu leben. Dies erfordert eine offene Gesprächskultur innerhalb der Polizei, sowie ein transparentes konsequentes Vorgehen, wenn eine Suchterkrankung bei Beschäftigten erkannt wurde. Die Handlungsempfehlungen dieser Anlage sollen dabei unterstützend wirken, die Kontaktaufnahme und den Abbau von Vorbehalten zu erleichtern sowie eine wohlwollende, dennoch stringente Begleitung von Betroffenen, zu ermöglichen.

Anmerkungen zu Fußnoten, Abbildungen und Anlagen

Fußnoten: Für die Audiofassung haben wir uns entschieden, auf Fußnoten weitestgehend zu verzichten. Zu finden sind alle Literaturhinweise, Querverweise und Quellenangaben vollständig in der schriftlichen Fassung.

Abbildungen: Abbildungen sind nur in der schriftlichen Fassung zu finden: 

Anlagen: Zu einigen Themen gibt es zusätzliche Anlagen z.B. Informationsbögen oder Vorlagen für Vereinbarungen. Diese sind nur in der schriftlichen Fassung zu finden.

Die schriftliche Fassung können Sie hier aufrufen.  

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110